Die Geliebte des Gottes & Das Rosenmädchen

Die Geliebte des Gottes & Das Rosenmädchen

Heute gibt es zur Feier des Tages zwei Kurzgeschichten von Kathrin Koitka*: „Die Geliebte des Gottes“ und „Das Rosenmädchen“

Die Geliebte des Gottes

 

Dunkelheit.
Kälte.

Sein Herz erfroren.

Nichts dringt durch den Nebel der Einsamkeit.

Alles scheint tot.

Seine Welt endet hier.

 

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Muskeln knacken, als er den Arm streckt. Er hebt seine Hände empor, als könnte er den Himmel erreichen.
Wie angenehm es ist, wieder einen Körper zu besitzen! Und ich bin stärker als je zuvor.

Mächtiger.

Gewaltiger.

Unsterblich.

Gottgleich.

Ein Gedanke nur, und sein Körper löst sich zu einem Wirbel auf. Der schwarze Dampf reitet auf dem Wind, bezwingt ihn. Die Elemente selbst unterwerfen sich seiner Herrlichkeit.

Am anderen Ende der Welt nimmt er Gestalt an. Schließt die Augen und atmet tief ein, schmeckt, riecht, spürt mit all seinen Sinnen nach ihr.

Nichts.

Ein Wimpernschlag, und er löst sich in Rauch auf. Die körperlose Wolke bläht sich über den Wellen und dringt in sie ein. Die Kraft des Meeres kann ihm nicht standhalten. Er berührt den Boden des Ozeans, witternd, nachspürend.

Wo haben diese Ketzer ihre Asche verstreut?!
In jedem Ozean, an allen Weltenenden und sämtlichen Orten zwischen ihnen wird er sie suchen. Wie ein rasendes Tier wütet er, blind für alles außer seiner Mission.

Seit er wiedergekehrt ist, besitzt er die Kräfte eines Gottes. Nichts kann ihm stand halten. Kein noch so kleines Korn bleibt ihm verborgen. Nachdem er zwei Mal durch die Welt gepflügt ist, schneller als ein Auge ihn erblicken kann, hat er seine Pflicht erfüllt. Ein kniehoher Kegel grauer Asche ist der Lohn seiner Mühen.

Die Opfer für das nötige Zauberwerk sind schnell gefunden: eine unschuldige Seele, das Blut eines Mörders, das Haar einer jungen Frau und die Haut eines Säuglings.

Tief atmet er durch, und beruhigt seine zitternden Hände: bald werden sie vereint sein, ewiglich und untrennbar diesmal.

Schnell hat er das unheilige Ritual vollzogen, und die Asche nimmt vor seinen Augen Gestalt an. Der Kegel formt eine schlanke Silhouette, bildet Arme und Beine, verdichtet sich zu Knochen und Muskeln. Dann liegt er vor ihm, ein nackter Frauenkörper, schön wie die Sonne, anmutig wie der Wind.

Er betrachtet den reglosen Leib, ein feines zerbrochenes Instrument, unbelebt und tot.

In einem letzten Kraftakt beschwört er seine neugewonnenen Mächte, zieht aus allen vier Elementen zusätzliche Stärke, doch es ist so wenig. Er ist zu schwach, um eine Seele aus dem Abgrund zurück zu zwingen.

Aufgeben, sie vergessen? Niemals!

Die Erde bebt und droht entzwei zu brechen. Sein Ziel scheint nur erreichbar, wenn die Welt darüber ein Ende findet.

Verflucht seien die Götter, grausam unter ihrer milden Maske! Zur Hölle mit diesen Götzen, die.  niemandem helfen. Die Anbetung ihrer Existenz bringt nur den Toren Befriedigung. Wieso leben sie, nutzlos in ihrer Sphäre, wenn sie tot bleibt?

Eine seiner Gotteslästerlichkeiten hat die Aufmerksamkeit der Allmächtigen geweckt. Er spürt ihre Stärke, unsichtbare Finger tasten an seinen Geist. Sie sind neugierig und amüsiert.

Amüsiert über sein Leid.

Zorn droht ihn zu überwältigen.

Sein Wille bohrt sich in die fremde Manifestation am Rand seines Bewusstseins. Instinktiv verleiht er seinen Kräften eine Form, bildet einen giftigen Stachel. Er will verletzen, was ihn verletzt hat.

Als er sich in das fremde Wesen bohrt, durchströmt ihn neue Energie.

Hier ist die Macht, nach der er sich verzehrt hat, die er so dringend benötigt!

Er raubt immer mehr Kraft, in seinen Ohren ein wildes Brausen. Himmel und Erde vertauschen den Platz, weißglühendes Feuer verbrennt ihn und unbarmherzige Winde gefrieren seinen Leib.
Ein Gedanke nur, und sein Körper löst sich zu einem Wirbel auf. Nun sind ihre Angriffe nutzlos, und er benutzt ihre Versuche gegen sie. Wer ihn berührt, bietet ihm eine Einlasspforte.

Weit öffnet er seinen Geist ihrem Eindringen, und stiehlt alles, was er an Kraft in ihnen spürt.

Schließlich endet der Zwist der Weltenherrscher. Der Sonne entschwand ihre Aureole, die Elemente haben an Macht eingebüßt, Wind bläst als bloßer Wind über seine Haut.

Die Götter sind nicht mehr.

All ihrer Lebensenergie beraubt, lösten sie sich auf, ihre Namen nur mehr Schall und Rauch. Sein Diebstahl hat die Schirmherren von Erde und Menschen ausgelöscht.

Behutsam entlässt er die geraubte Kraft in die zerbrochene Hülle vor ihm, bis ihre Macht ausreicht, die Seele seiner Geliebten der Totenwelt zu entreißen.

Mit einem tiefen Keuchen hebt sich ihre Brust, ihre Augen weiten sich im Schock. Sie erhebt sich taumelnd, droht zu fallen und schluchzt vor Entsetzen.

Schon ist er bei ihr, umfängt sie mit seinen starken Armen und murmelt beruhigende Worte.

Ihre Beine knicken ein, sie lehnt den Kopf an seine Hüfte und seufzt.

Wenn Glück greifbar wäre, würde es nach Asche und Regen schmecken.

 

Stolz schreitet er neben seiner Geliebten einher und genießt ihre Gegenwart. Bald ermüdet es ihn, sich in Zeitlupe zu bewegen. Und doch macht sie fünf Schritte für jeden, den er langsam setzt.

Ihre Hand glüht wie Feuer auf seiner Haut.

Plötzlich verlangt sein Augenstern nach Nahrung.

Nun erst bemerkt er die Veränderung, die mit seinem Körper vorgegangen ist. Er isst nicht, trinkt nicht, bedarf keines Schlafes und atmet nur aus Gewohnheit.

Sie dagegen ist immer noch ein bloßer Mensch, mit all dessen Unzulänglichkeiten.

Tief atmet er durch, spürt in die Erde und konzentriert sich. Sträucher und Bäume, zehn Meilen entfernt. Zu weit für seine Liebste.

Eine Handbewegung, und die Früchte kommen in seine Arme geflogen. Er wendet sich zu seiner Geliebten um, die stirnrunzelnd zurückgewichen ist. Mit einer Verbeugung legt er die Beute vor ihr nieder. Er hat Zeit, um sie an seine neue Gestalt zu gewöhnen. Unendlich viel Zeit. Ein Gefühl sagt ihm, dass weder Vergänglichkeit noch Tod ihn erreichen können.

Sobald sie schläft, nimmt er sie in seine Arme und schwebt auf den Windböen über das Meer. Sie mag Wärme. Und Ruinen voller Geschichte.

Als er landet, spritzen die Menschen entsetzt auseinander. Einige greifen ihn an. Er bettet seine Liebste in eine Baumkrone, und wirkt einen Zauber, der sie ungestört weiter träumen lässt.

Dann wendet er sich den Quälgeistern zu. Statt seine Überlegenheit zu würdigen oder ihm zu huldigen, attackieren sie ihn. Gleich seinem Zorn wächst sein Körper, bis sein wütendes Gesicht hoch über ihnen schwebt. Er überragt sogar ihre Götterstatuen. Viele Menschen drehen sich um und fliehen. Er spürt nicht, wie die übrigen ihn versuchen zu verwunden, der Zorn verwandelte seine Haut in Granit. Doch sie müssen bestraft werden für diese Anmaßung. Mit einigen gezielten Schritten zertritt er sie.

Seine Haut kitzelt unter ihren armseligen Geschossen.
Das kann er nicht gestatten, sie könnten seine Geliebte treffen.

Wild schlägt er um sich, zerquetscht dieses Ungeziefer, reißt Häusermauern ein und zertrümmert Türme, bis sich nichts mehr regt.

Als er inne hält, herrscht Stille. Zufrieden nickt er. So haben sich die Ruinen der Stadt vermehrt; wen kümmerts?

Doch sein Liebling sollte das Blut nicht sehen. Er hebt sie empor und setzt sie einige Meilen entfernt ab. Die Sonne kitzelt ihren Nacken und weckt sie.
Verschlafen blinzelt sie um sich, und schnellt auf einmal hoch.

„Wo sind wir?“

Er sagt es ihr.

„Wie sind wir hierher gelangt?“

Er sagt es ihr.

Ihre Augen flitzen panisch von der einen Seite zur anderen, ihr Herzschlag beschleunigt sich. Beruhigend will er ihr über das Haar streichen, doch sie schreckt vor seiner Hand zurück.

Ungehalten öffnet er den Mund, bezähmt sich jedoch.

Sie wird sich schon an seine neue Macht gewöhnen.

Menschen strömen zu ihnen, lassen sich auf die Knie fallen und reichen ihm Gaben.

Gold.

Silber.

Edelsteine.

Nahrung und Wein.

Aus den Augenwinkeln sieht er, wie seine Gefährtin mit offenem Mund staunt. Ist das Abscheu auf ihrem Gesicht?

Keine Zeit. Er muss sich um seine neuen Gläubigen kümmern.

Sie wird sich schon daran gewöhnen.

 

 

Die neue Ordnung hat kaum merklich Einzug gehalten. Fast alle unterwerfen sich seiner Herrlichkeit. Beinahe jeder huldigt ihm.

Bis auf eine.
Die ihm wichtiger ist als alle anderen.
„Ich kleide und nähre dich, ich lasse sogar durchgehen, dass du nicht vor mir kniest…“

„Knien?“ Sie schaut ihn entsetzt an, dann kreischt sie fast: „Knien?! Wann habe ich jemals vor dir gekniet?“

Warum ist sie nur so wütend?

„Früher war es nicht erforderlich“, erklärt er geduldig. „Aber nun, da ich mich gewandelt habe, schickt es sich, dass du mir dieselbe Ehrerbietung zeigst wie die anderen Sterblichen.“

Sie schweigt. Ihre Augen blitzen.

Befriedigt möchte er sich schon abwenden, doch da erhebt sie erneut ihre Stimme. „Ich werde niemals vor dir knien. Warten, bis du mir erlaubst zu sprechen. Dich anbeten. Was soll das für eine Partnerschaft sein?“

Da liegt der Kern ihrer Meinungsverschiedenheit! Er lacht erleichtert. „Liebes, wir sind nicht mehr gleichrangig. Ich bin nun ein Gott, und du entsammst diesem Ungeziefers, das die Erde verschmutzt.“

Mit einem Wutschrei stürzt sie los und schlägt ihn. Hart. Bunte Punkte tanzen vor seinen Augen. Warum kann sie ihn berühren, und die Waffen der armseligen Menschen vermochten nichts auszurichten? Einzig ihretwillen hat er die unheiligsten Rituale auf sich genommen, um sein Nachleben zu sichern. Nur der Gedanke an sie hat ihm die Kraft verliehen, sich durch aus den Tiefen der Unterwelt empor zu kämpfen. Sämtliche Götter hat er getötet, um sie ins Leben zurück zu holen. Seine ganze Existenz dreht sich um sie. Wie kann sie ihm das antun?

Schmerz. Scharf wie eine Klinge dringt er durch Körper und Seele. Er hatte bereits vergessen, wie sich Schmerzen anfühlen.

Einer dieser Schläge trifft seine Nase, und heiße Wellen durchzucken seinen Körper. Zorn erfüllt ihn. Instinktiv schlägt er zurück.

Langsam klingen die glühenden Schmerzwogen in seinem Körper ab. Er steht auf und reicht ihr eine versöhnliche Hand.

Doch sie ignoriert ihn.

Ärgerlich stößt er sie an. Wie ein Bündel Lumpen schwingt ihr Körper herum.

Ihr Gesicht – ein klaffendes Loch. Die Augen, die sanft leuchten und so wütende Blicke schießen konnten – schwimmen in einem blutigen See.

Fassungslos hält er eine Hand über sie. Kein Puls. Keine Atmung.

Tief atmet er durch und lässt seine Kraft in sie strömen, um sie zu heilen.
Doch nichts regt sich.

Mit einem Wutschrei sammelt er all seine Energie und schickt sie in ihren Leib. Kein Lebensfunken ist zu spüren. Mehr und mehr Macht sendet er in ihre sterbliche Hülle.

Dann knackt etwas. Feiner Staub wirbelt umher und nimmt ihm die Sicht.

Blutrot, rosafarben, hellbraun und dunkelweiß.

Als der Dunstschleier sich senkt – ist sie fort.

Langsam erhebt er sich und begreift die furchtbare Realität.

Grauen erfüllt ihn.

Quiekendes Ungeziefer läuft auf ihn zu, und er findet ein Ventil für seine Verzweiflung. Einmal entfesselt, erscheint es ihm gerecht: kein Herz darf schlagen, wenn ihres verstummt ist!

Wild rast er über alle Kontinente. Als jeder Puls verstummt ist, wirft er seine Kraft gegen die Berge, unverwüstlich und anmaßend in ihrer schweigenden Größe. Das Unterste wird zuoberst gekehrt, die Ozeane treten über die Ufer und Sturmfluten beherrschen alles Land.

Wenn Verzweiflung greifbar wäre, würde sie nach Asche und Salz schmecken.

 

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Dunkelheit.
Kälte.

Sein Herz erfroren.

Nichts dringt durch den Nebel der Einsamkeit.

Seine Welt endet hier.

Alles ist tot.

Mär Einhorn Kempten

Das Rosenmädchen

Liadin tänzelte durch den Wald. Sie war schön wie die Sonne und lebendig wie ein Gebirgsbach. Viele Männer hatten um ihre Hand angehalten, doch Liadin verschmähte alle. Sie hoffte, das Herz eines wohlhabenden Mannes zu gewinnen.

Da trat der Gott der Vollkommenheit hinter einem Baum hervor. „Ich habe dich oft beobachtet, du schönes Menschenkind! So lange bin ich schon alleine! Wenn du meine Gefährtin wirst, verleihe ich dir den Glanz der Herrlichkeit. Wir leben auf ewig unter den Unsterblichen. Eines Tages werden die Menschen dich gar als Göttin verehren!“

Liadin stimmte zu. Nun konnten die kleinen Makel ausgeglichen werden, die sie im polierten Silberspiegel gesehen hatte. Der Gott wirkte seinen Zauber, und warmes Leuchten durchfuhr ihren Körper.

Ihre Haut strahlte in makellosem Glanz. Wie verschwenderisch, solche Pracht vor den Menschen zu verbergen! Als der Gott seine Hand ausstreckte, wandte sie sich um und lief davon. Mit einem wütenden Aufschrei verfolgte er sie.

Liadin aber war listig und hatte nicht ohne Hintergedanken zugestimmt. Nun sandte sie ein Gebet zum Gott der Liebe: „Du kannst nicht wünschen, dass ein junges Mädchen gezwungen wird zu lieben!“

Der Gott erhörte Liadins Not – doch anders als sie gehofft hatte. Für ihren Wortbruch verwandelte er sie in einen Rosenstrauch, als Mahnmal gegen den Verrat. Ihre Glieder wurden zu dicken Ästen, und jede Locke auf ihrem Haupt formte eine Blüte. Unter dem grünen Gebilde liegt weiter die zarte Mädchenhaut. Und mit jeder Lüge, die sich Liebende erzählen, bohren sich die Dornen fester in ihre Haut.

*Wahrscheinlich fragt ihr euch: Wer ist Kathrin Koitka? Keine Sorge, nachdem ihr nun schon etwas von ihr lesen durftet, werdet wir sie euch ganz bald auch noch vorstellen!

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