Vaterliebe oder warum Märchen ohne Väter nicht dasselbe wären

Vaterliebe oder warum Märchen ohne Väter nicht dasselbe wären

Wenn es um Märchen geht, redet man oft über Mütter. Die armen, guten, toten, leiblichen Mütter. Die bösen, zaubernden, gefährlichen Stiefmütter. Es lohnt sich aber auch, einen genauen Blick auf die Väter zu werfen. Sie sind oft genauso wegweisend und elementar, außerdem mussten hier die leiblichen Väter selten gegen Stiefväter ausgetauscht werden, wie es bei der Überarbeitung der ersten Fassung der Grimmschen Märchensammlung beispielsweise mit den Müttern passiert ist. Relativieren wir das: Wenn die Hauptfigur ein Mädchen ist, ist die männliche Vaterfigur stets der leibliche Vater. Bei männlichen Protagonisten kennen wir dagegen die Gevatterrolle, die Vormundschaft, die teilweise von skurrilen Gestalten wie dem Tod übernommen wurde.

Der Vater und sein kleines Mädchen

Die Väter sind so elementar, dass die Handlung fast aller Märchen auf ihren Entscheidungen aufbaut. Selbst die Gevattern werden von den Vätern ausgesucht. In der Aschenputtel-Version mit dem Haselstrauch ist es der Vater, der seinen Stieftöchtern schöne Kleider mitbringt. Seiner leiblichen Tochter gibt er aber die Nüsse, die nicht nur eine Verbindung zu ihrer leiblichen Mutter darstellen, sondern auch die Grundlage für ihr Erscheinen auf den königlichen Bällen und ihre spätere Vermählung mit dem Prinzen legen. Ohne Papa keine Haselnüsse, ohne Haselnüsse keinen Strauch, ohne Strauch keine Kleider, ohne Kleider keinen Ball, ohne Ball keine Hochzeit. Am Anfang steht der Vater. Das Spiel lässt sich wiederholen. Bei Dornröschen ist es der Vater, der die dreizehnte Fee nicht einlädt. Ohne Vater keine zornige Fee, ohne zornige Fee keinen Fluch, ohne Fluch keinen 100-jährigen Schlaf und ohne den wäre Dornrösschen nicht wachgeküsst worden.

Der Vater als Instanz

Der Vater bringt oft die Handlung ins Rollen. Manchmal durch Nichtstun, wie bei Hänsel und Gretel, wo er die (Stief)Mutter einfach gewähren lässt. Doch er tritt auch als Moralinstanz auf. Etwa im Froschkönig, wo es der Vater ist, der die Prinzessin immer wieder daran erinnert, dass sie ihr Versprechen auch gegenüber einem Frosch halten muss. Bei den sieben Raben ist es der väterliche Zorn über die ungestümen Söhne, der sie in Raben verwandelt. Hätten die Jungs mal besser gehört. Auch in König Drosselbart ist es die Lektion, die der Vater der hochnäsigen Prinzessin erteilen will, die sie an die Seite des Spielmanns bringt. Selbst bei Rumpelstilzchen sind es die väterlichen Entscheidungen über das eigene Kind gepaart mit Angeberei, die die Müllerstochter in die Kammern voll Stroh führen. Habt Dank, ihr Märchenväter, wo wären wir nur ohne euch! Es gäbe keine gestiefelten Kater ohne eure Testamente, keine ellenlangen Haare, die aus Türmen hängen, ohne eure Einbrüche in fremde Gärten und erst recht keinen Knüppel aus dem Sack, wenn ihr euren Kindern nur mehr trauen würdet als der alten Ziege.

Zu viel Vaterliebe

Mitunter wirkt die Vaterliebe dann doch verstörend. Nicht nur in Allerleirauh, wo der König seine eigene Tochter heiraten will. Auch die Beschreibungen der Zeit, in der Vater und Tochter „allein“ waren, bei Schneewittchen oder Aschenputtel wirken auf mich immer etwas seltsam. Als hätte die Tochter die Mutter ersetzen sollen. Der Vater als erste Liebe der Tochter schimmert durch. Fast ist man da froh um die Stiefmütter, die den Platz einer erwachsenen Frau neben dem Mann einnehmen, während die Mädchen noch auf dem Weg dorthin sind. Auch im Märchen Die Rose, das wir vor allem als Die Schöne und das Biest kennen, ist es doch die Liebe des Mädchens zum Vater, die sie zuerst in die Fänge des Biestes treibt und dann dessen Leben fast beendet. Hier steht sie im Mittelpunkt, die Entscheidung zwischen dem Herrn Papa und dem anderen Mann. Dass die Adoleszentsentwicklung im Märchen für Frauen immer in der Hochzeit endet, ist ein ganz anderes Problem.

 

Von Eva-Maria Obermann

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